BELLET – französische Seealpen
Nizza – oder wie man hier gern sagt Nissa la Bella – verführt nicht nur mit einem Farbrausch, sondern auch alle Sinne. Die Schöne liegt in der Engelsbucht relativ geschützt vor wilden Winden, eingebettet in die Ausläufer der französischen Seealpen am Mercantourgebirge, östlich des Mont Boron und im westlichen Tal der Var (Fluss).
Ihre Schönheit ist schon aufgrund der traumhaften Lage an der Côte d’Azur angenehm berauschend, wirklich beeindruckend allerdings ist ihre Vielseitigkeit – und natürlich ihre Gesellschaft (vgl. Le Beau Monde): Die Entfernung zum Fürstentum Monaco beträgt mit ca. 20 km nur einen Katzensprung und Wildkatzen springen sogar bis nach Imperia, Italien (ca. 30km). In den Seealpen gibt es Stellen, an denen Sie ohne den Kopf drehen zu müssen gleichzeitig schneebedeckte Berge und das Mittelmeer sehen können; es ist zudem problemlos möglich am selben Tag Ski zu fahren und im Bikini am Strand zu liegen ohne dazu in ein Flugzeug steigen zu müssen: Sie können das rein theoretisch sogar mit dem Linienbus erledigen und bezahlen dann auch bloß 1,50€ pro Fahrt. Verrückt, oder?
Blick auf die Engelsbucht vom Weingut Château de Crémat / (c) 2016 artofexpression.fr
2.500 JAHRE WEINBAU IN BELLET
Ihren Namen verdankt die Stadt den Phokäern, die Jahrhunderte vor Christus die Liguren besiegten und „Nikaia“ gründeten, was aus dem Griechischen übersetzt so viel bedeuten soll wie „die Siegbringende“. Ab ca. 250 v. Chr. förderten die Phokäer den Anbau von Wein und Oliven – eine Verbindung, die es bis heute gut miteinander aushält. Noch heute produzieren die Weinbauern auch Olivenöl und Tapenaden.
Ab 154 v. Chr. bevölkerten Römer die Gegend und gründeten zur Sicherung der Region bald eine zweite Siedlung, das „Cemenelum“, das auf den östlichen Anhöhen liegt und der heutige Stadtteil Cimiez ist. Hier entstand zuerst eine Art Verwaltungszentrum, aus dem sich u.a. durch den Bau der Via Iulia Augusta 7 v. Chr. im Laufe der Zeit die Stadt entwickelte.
DIE FEINE GESELLSCHAFT – seit 75 Jahren AOC
Die Grafschaft Nizza (le Comté de Nice oder italienisch/nissart: Countea de Nissa) zählte ab dem 13. Jahrhundert zum Herrschaftsgebiet des Hauses Savoyen. Die „Barone von Bellet“ gründeten ihre Domaine früh: Bereits 1777 wurde ihnen der Titel gewährt und so gab die Familie dem Gebiet ihren Namen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stand Bellet in voller Blüte. Das Gebiet umfasste damals etwa 100 Hektar, von denen heute noch ca. 65ha bestehen und 55ha bewirtschaftet werden. Im Zuge einer Neuorganisation fiel die Grafschaft 1818 an das Königreich Sardaigne und wurde 1860 Frankreich zugeordnet.
1864 erreichte die Eisenbahn die Stadt. Da der Bahnhof jenseits der Paillon (Fluss) auf freiem Feld gebaut wurde, blieb die Altstadt unversehrt. 1923 erwirbt die wohlhabende Amerikanerin Irene Bretz, Aktionärin der Eisenbahngesellschaft, das erst 1906 erbaute zweite Château in Bellet: Das Château de Crémat. Sie beginnt mit dem Ausbau des Anwesens. Hierzu beauftragt sie den Architekten Charles Dalmas, welcher sich mit dem Bau großer Hotels der Belle Époque einen Namen gemacht hat (vgl. Hotel Carlton, Cannes, siehe Wikipedia). Sagenumwobene Veranstaltungen der feinen Gesellschaft finden statt, bis Ende der 1930er Jahre Pierre Tomé das Château de Crémat kauft und 1941 die Kennzeichnung « AOC Bellet » erhält.
WEINBAU IN DER STADT
Heute ist Nizza ist die einzige Stadt in Frankreich, die innerhalb der Stadtgrenze über ein eigenes Weinbaugebiet verfügt, das zwar oberhalb des Stadtkerns liegt, aber dennoch innerhalb der Gemeinde. Ganz im Osten der Weinregion „Provence“ gelegen, umfasst Bellet einige der ältesten Weinlagen Frankreichs: Saint Roman, Crémat und Saquier.
Die geografische Lage bietet den Weinen der „Grafschaft Nizza“ (Comté de Nice) wie man sie hier nennt, d.h. den Trauben von Bellet, ein außergewöhnliches Mikroklima, das eine langsame Reifung ermöglicht. Das ganze Jahr über umwehen das Gebiet von den Alpen absteigende und von der Küste aufsteigende Winde. Die Reben wachsen auf schmalen terrassenähnlichen Flächen, die „Restanques“ genannt werden, in einem Boden, der eine seltsamen Mischform aus Erde/Sand und Steinen ist und obendrein „Poudingue“ (sprich Pudding) genannt wird. Diesem kalkig-kieseligen Boden verdanken die Weine ihre Eigenheit. Dieser extrem durchlässige Grund ist für den Weinbau ideal geeignet, da die runden Steine, die übrigens auch am Strand von Nizza vorzufinden sind, besonders mineralhaltig sind und es den Reben ermöglichen ihre Wurzeln tief in den Boden zu schlagen. Zudem ist auch die hohe Lage der Parzellen mit durchschnittlich 250 Metern (insgesamt zwischen 100 bis 350m) ein Kriterium, dem die Weine ihre Feinheit und Leichtigkeit verdanken.
Interessanterweise liegen nun die Domains mitunter direkt nebeneinander und produzieren doch sehr unterschiedliche Weine. Produziert werden: Weißwein, Roséwein, Rotwein, Oliven und ihre Nebenprodukte (Öl, Tapenaden, Confit), selten Blumen, Obst, Gemüse.
DIE TRAUBE
Die leichten Winde sorgen außerdem dafür, dass die Trauben auf natürliche Weise vor Pilzbefall geschützt sind und selbst bei großer Hitze vom leichten Lüftchen profitieren. Dank des milden Klimas findet die Weinlese jeweils in der ersten Hälfte des Septembers statt (landeinwärts eher Oktober/November).
Auf den westlichen Anhöhen wachsen nun also einzigartige, ortstypische Rebsorten, aus denen Weißwein, Roséwein und Rotwein hergestellt wird. Die „Folle Noire“ und die Braquet-Traube sind die Rebsorten für die Rotweine; die „Rolle“ (andernorts auch Vermentino genannt) für die Weißweine, die mit anderen Sorten ergänzt wird: Cinsault, Grenache und Chardonnay. Der Gesamtertrag liegt bei jährlich bis zu 40hl/ha, bzw. etwa 120 000 Flaschen.
Bei der Folle Noir (Fuëlla nera), die sich übrigens korrekt mit «schwarze Verrückte» übersetzen lässt, handelt es sich um eine in den französischen Seealpen, d.h. in Grasse, Antibes, La Gaude und Bellet beheimatete Sorte, die Winzern aus anderen Gebieten völlig unbekannt sein dürfte. Sie ist allerdings im offiziellen Katalog der Rebenvielfalt gelistet.
EXKLUSIVITÄT
Außerhalb der Stadt sind die Weine auch aufgrund der geringen Produktionsmengen sehr selten zu finden. Der Flaschenpreis liegt zudem bei etwas unter 30€ im Handel, weshalb die Weine für die meisten der ortsansässigen Gastronomiebetriebe zu teuer sind. Bellet zählt zu den gut fünfzig Appellationen « PROVENCE ». Man kann vielleicht sagen, dass Bellet noch immer ein bisschen im Dornröschenschlaf liegt, denn einige der Weine sind Medaillenträger und stehen den “Großen” in Nichts nach, außer völlig zu Unrecht in ihrem Ruhm. Die Weine von Bellet werden allerdings heute wie damals von Kennern und Genießern weltweit geschätzt und z.T. bis nach China exportiert (Château de Crémat) oder u.a. bei der Hochzeit von Prinz Albert und Prinzessin Charlène im Fürstentum Monaco ausgeschenkt (Château de Bellet).
DIE DOMAINES
Bellet hat eine aufregende Geschichte hinter sich, Domaines kamen, gingen, wechselten den Eigentümer, widersetzten sich dem Immobilienwahn erleben eine, wenn auch langsame Art Renaissance. Derzeit befinden sich (Stand Juli 2016) 10 Domaines +1 unter AOC, insgesamt sind und waren es einige mehr. Obwohl Bellet so alt ist und eine 2.500-jährige Geschichte erlebt hat, sind die meisten der heutigen Besitzer unter 50 Jahre alt.
Bis 2012 befanden sich alle Domains in Privatbesitz, dann verkaufte Ghislain de Charnacé das Château de Bellet an einen französischen Konzern. Der Käufer erwarb zudem die Domaine „Côteau de Bellet“ (ca. 6,5Hektar) und vergrößerte somit das historische Anwesen des Château de Bellet, das das erste in Bellet und durchgehend seit 1777 in Familienbesitz gewesen war.
Angaben ohne Gewähr, Irrtum vorbehalten – Stand Juli 2016
À votre santé!
Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.
Gustav Mahler (1860-1911)
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