Biografie
geduldig in Trübsal,
haltet an am Gebet.
Römer 12, 12
– Konfirmationsspruch –
Geboren im Frühjahr 1930 in Altona als es quasi* noch zu Dänemark zählte, gekauert im Keller, gewühlt in den Trümmern, gezeichnet und “ausgezeichnet” trotz und während eisiger Kälte, gelernt und gelehrt in Hamburg, gewirkt, geliebt und gelitten bis in den Tod 2007 in Bad Oldesloe.
Als drittes von vier Kindern wird Elisabeth im März geboren. Ihr von allen geliebter Bruder fällt im Krieg, die Erinnerung an ihn hält ein einziges Bild in Graubraun wach. Er hat ihr Gesicht. Oder vielleicht hat sie seins. Das Gesicht ihres Vaters. Oberlehrer in Hamburg und Abkömmling eines Hamburger Sattlers von der Reeperbahn. Seine Haltung ist mehr als aufrecht.
Ihre Schwestern erlernen ein Handwerk, verheiraten sich bald, verziehen in die Stadt, stören sich am Lärm der Straßenbahn. Elisabeth steht danach nicht der Sinn. Sie ist fromm, hat Fantasie und Liebe, die sie nicht nur zu teilen, sondern zu multiplizieren sucht. Sie studiert Musik am Konservatorium, studiert Religion, und weil sie das nicht allein unterrichten darf, wird sie auch Mathelehrerin. Lieber wollte sie Kunst studieren, doch diese Kombination war für das Lehramt nicht zulässig.
Am 27. Januar 1958 verfasst sie als Studienreferendarin ihre pädagogische Prüfungsarbeit zum Thema „Einführung des Orff-Schulwerks in den Musikunterricht der Unterstufe auf einem wissenschaftlichen Gymnasium für Mädchen“ auf Pergamentpapier. Die Arbeit umfasst 71 Seiten. Die Schreibmaschine, auf der sie tippt begleitet sie treu durchs ganze Leben und hilft ihr vierzig Jahre später als die Hände sie im Stich lassen.
Elisabeth hat Freude an ihrem Beruf. Nur einmal kann sie nach den Ferien nicht rechtzeitig zum Unterricht nicht erscheinen, weil sie in Jugoslawien im Schnee versunken ist. Das schlechte Gewissen wird sie trotz aller Erschöpfung mit ins Grab nehmen. Sie liebt was sie tut, denn sie tut was sie liebt. Sie arbeitet nie.
Bald stirbt die Mutter und sie ist allein. Die Kinder der Schwestern sind längst da. Auch sie sucht die höchste Form des Gebens. Schließlich findet sie sie im Nehmen, Annehmen. Bald kommt zudem ein Hund aus dem Tierheim hinzu. Ihm wird es gelingen die Grippe zu verscheuchen, die sie alljährlich danieder streckte.
Sie blüht und blüht und erkrankt noch vor ihrer Rente. Elisabeth hat Parkinson. Sie leidet 16 Jahre lang, zerfällt in sich, erduldet alles, hilflos, mehr als tapfer. Sie malt. Sie zeichnet. Sie spielt Klavier. Spielt Trio. Jeden Dienstag. Der Pastor wird sich später erkundigen wie eine so zierliche, ruhige und zurückhaltende Person an einem Gymnasium unterrichten, ja, jedes Jahr ein ganzes Orchester leiten konnte. Die Antwort überrascht ihn und auch nicht, denn er kannte sie ja, Elisabeth. Sie lautet: Mit der ihr eigenen Art.
Jeder, der sie kannte erhielt ein Stück von ihr, hiellt an, hielt inne, behielt. Am Ende hatte sie sich aufgelöst, in Ehren unvergessen. E, wie man sie hin und wieder nannte, unterstützte wo sie nur konnte; immer das Gute im Blick. Terres des Hommes, den WWF, das Rote Kreuz. Den armen Alten in der Ostzone schickte sie Kaffee und Schokolade. Zuletzt, posthum, wurde sie Tastenpatin für die neue Orgel in der Peter-Paul Kirche in Bad Oldesloe.
Elisabeth malt und zeichnet. Aquarelle, Ölkreide, Kohle, Feder. In jungen Jahren machte sie auch Scherenschnitte mit Untertiteln aus einem Guss. Später zeichnet sie ganze Welten mit einem schwarzen Strich. Sie ist umgezogen und hat ihr Atelier nun im Keller. Weshalb, das weiß man nicht. Vielleicht weil ihr im Sommer die Hitze zu schaffen macht. Doch die Winter sind ja lang und nun sind auch die Sommer dunkel.
Depressionen vergiften sie von innen. Nebenwirkungen von Nebenwirkungen von Wechselwirkungen. Oder so. Wer weiß das schon so genau. Und wer will das überhaupt noch wissen. Elisabeth will gehen. Aber sie kann nicht. Sie sorgt sich.
Als sie stirbt liegt ihre Hand in jener, die einst in ihrer lag, genauso schwach und nackt; nur am anderen Ende des Lebens.
Danke.
Die Kunst
Schwer zu sagen, ob man noch von einem Hobby sprechen kann, wenn man sich überlegt, dass sie einen Teil ihrer Werke auf diversen Ausstellungen präsentierte, zum Teil verkaufte und praktisch Vollzeit mit Kreation befasst war. Man nannte sie Pensionärin, Seniorin. Schülerin.
“Viele Bilder haben keinen Titel. Die Darstellungen sind eigentlich Inhalt genug”, befindet sie.
Sie malt mit Kreide, mit Öl, mit Kohle. Sie malt von Traurigkeit und Einsamkeit, von Hässlichkeit, von Schönheit. Mitunter ist es schwierig ihre Werke zu ertragen, jedenfalls für mich als nicht durchweg objektiven Betrachter. Ihre Menschen sind zunächst immer ein wenig zu spitz, finde ich, die Farben zu zart, finde ich. Sie hört mir zu und freut sich dass ich auf ihre Werke reagiere. Sie müssen mir nicht gefallen. Es sind ihre Werke, also sollen sie ihr gefallen. Und wenn sie ihr nicht gefallen, dann werden sie geändert oder kommen weg.
Ihre Kunst ist gewaltig, auch weil man sich vor Augen führen muss, dass sie mit freier Hand malt und zeichnet. Einer Hand, die fest im Griff der Schüttellähmung ist und schon war, bevor sie überhaupt begonnen hatte sich so leidenschaftlich hinzugeben.
“Einige Gesellschaftliche Zustände regen mich auf.”
Sie zeichnet viele Landschaften und Vögel. Traurige Menschen. Junges Glück. Ihre Zeichnungen (s/w) erzählen von einer Welt, die schöner ist, bunter als diese hier, allein weil wir sie nicht kennen. Einige ihrer Bilder lassen sich drehen, verstecken eine neue Perspektive, in dem vielleicht ein Vögelchen sitzt und seiner Welt ein Lied darbietet. Ein leises Lied von Frieden, oder gar ein lautes vor Freude.
Sie spielt Klavier. Ihren Flügel hat sie früh erworben und sich nie von ihm getrennt. Sie sitzt noch am Spiel als ihr Kopf sich nicht mehr von der Brust heben kann. Die Osteoporose hat sie obendrein zerfressen, aber ihre Augen leuchten mich aufmunternd an. Auch sie lächelt, müde zwar, aber ehrlich, was ich auch dann noch tapfer zu ertragen versuche als sie schon lange nicht mehr ist. Früher strahlten ihre Augen mich in hellem Himmelblau an. Nicht nur mich.
Graphische Improvisationen
Solange sie kann zeichnet sie Inseln. Ihr kleiner Weg in die Freiheit. Mit einem Strich, manchmal auch mit zweien. Sie schafft ohne Plan: Welche Insel sich schließlich zeigt, entscheidet allein ihre Hand. Sie lässt ihr ihren Lauf, spielerisch und frei. Daraus entstehen detailverliebte Märchenwelten, eine ferne Welt im Gestern, in die man sich für einen Moment hinein wünscht. Sie zeichnet auch Bäume und das Leben in ihnen.
Snippies nennt sie schließlich die kleinen Wesen auf ihrem Skizzenblock. Sie zeichnet aus Leidenschaft, am Tisch, im Bett und gegen ihre Einsamkeit, in der niemand sie besuchen kann.